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Blinde Liebe

10. August 2005 von Yhoko
Myra war ein aufrichtiges und sehr unterwürfiges Mädchen, schon immer war sie das gewesen, aber ihr Leben war alles andere als einfach. Myra war das Resultat einer brisanten Liebesgeschichte zwischen einem Bauern und einer Sklavin, die am städtischen Hofe diente. Jene verzweifelte Mutter musste ihr Kind bis zum letzten Augenblick schützen und verbergen, wollte es nicht wieder hergeben, doch ihre Bemühungen waren vergebens. Kurz nach Myras Geburt wurde sie brutal ausgepeitscht und anschliessend im grossen See ertränkt.
Wenigstens konnte jener Bauer Thymor, der seine Vaterschaft zwar nicht offen zugeben konnte, sich aber dennoch für seine Tochter verantwortlich fühlte, Myra bei sich aufnehmen und sie in den ersten Lebensjahren grossziehen, oder besser gesagt: erziehen. Nicht Liebe und Zärtlichkeit sondern Gehorsam und Untergebenheit hatte er schon bei der Mutter gefunden und so brachte er der jungen Myra bei, wie sie sich als Sklavin zu benehmen hatte und was sie in ihrem künftigen Leben erwartete. Doch keineswegs war er dabei herzlos, nein, immerhin war es seine leibliche Tochter und seine Erziehung war streng aber voller Liebe und Geduld.
Myra begriff schnell die einfachen Regeln, denn sie liebte ihren Vater und hätte alles für ihn getan. Mit 8 Jahren servierte sie ihm bereits das tägliche Frühstück, putzte das Haus, kochte das Essen und half auch manchmal bei der Feldarbeit mit. Sie war immer gut gelaunt und tanzte, wann immer es ihr erlaubt war. Jeder auf dem Hof genoss ihre Anwesenheit, besonders ihr Vater Thymor.
Es war für Myra ein unvorstellbarer Schock, als Thymor sieben Jahre später, kurz vor ihrem fünfzehnten Geburtstag, durch einen Herzanfall starb. Aber auch der Hof war davon betroffen, denn Thymor hatte ausser ihr keine Nachkommen und selbst das wusste niemand. So übernahm die Stadt den Hof und Myra landete auf der nächsten Sklavenauktion, wo sie an den meistbietenden verkauft werden sollte...

Bereits am frühen Mittwoch Morgen wurde die Sklavenauktion eröffnet, ein ungewöhnlicher Tag, wo sie doch sonst immer nur am Ende der Woche stattfindet. Doch in den letzten Tagen gab es ein Aufgebot an Sklaven und man entschied sich, diese Woche zwei Auktionen durchzuführen.
Allerdings hatte nicht jeder Zeit und den nötigen Bedarf, um mitten in der Woche einen Sklaven zu erwerben. Nur wenige Leute betraten die karge Halle, die an eine Kellerbühne mit einfachen Sitzstühlen erinnerte. Doch gerade die listigen Händler aus dem Osten nutzten natürlich diese Gelegenheit, um das eine oder andere Schnäppchen zu ersteigern, und freuten sich insgeheim über die wenigen Anwesenden.
Myra sah derweilen ganz und gar nicht gut aus. Vor wenigen Tagen erst hatte sie ihren Herrn und Vater, ja beinahe ihren ganzen Lebensinhalt verloren. Seither hatte sie nicht mehr gelächelt, ihre Kleidung wirkte abgenutzt und ihr Haar war dreckig und zerzaust. Es war daher auch kein Wunder, dass man sie zunächst gar nicht auf die Bühne schicken wollte, sie machte einfach nicht den Eindruck einer brauchbaren Sklavin.
Während Myra mit starrem Blick in einer Ecke stand und die Zeit um sie herum verstrich, machten die Händler ihre Gebote und lächelten sich gegenseitig ins Fäustchen ob der günstigen Preise. Natürlich hatten sie sich untereinander abgesprochen und egal wer nun was kaufte, die Sklavinnen würden später noch einmal unter ihnen aufgeteilt werden, aber die Angebote mussten trotz allem glaubwürdig klingen. Insgesamt war es aber nur eine mittelmässige Auktion und Celena, das wunderschöne Mädchen aus Vavayu, wurde sowieso erst bei der Hauptaktion am Ende der Woche präsentiert.
Im Gegensatz zu den anderen Mädchen, die zum Teil frisch entführt oder sonstwie in die Sklaverei gedrängt wurden, war Myra weder nervös noch verängstigt. Sie war abwesend mit ihren Gedanken und schwebte in stiller Trauer, hätte beinahe nicht mitbekommen, dass sie plötzlich selbst auf der Bühne stand. Offenbar wollte man sie einfach nur loswerden, auch wenn der Preis zu niedrig ausfiel. Doch auch das kümmerte sie nicht.

Skeptische Blicke musterten ihren Körper, als Myra mit den Worten "lebensfroh" und "gut erzogen" vorgestellt wurde, im Augenblick war sie eher trübe und unaufmerksam. Erst als ihr der Beamte leicht mit einem Stock gegen die Kniekehlen schlug, sank sie zu Boden und liess ihren Kopf hängen.
Scheich Alam Mu'hab grinste bei dieser Vorstellung. Er hatte nicht vor an diesem Morgen etwas zu kaufen, doch irgend etwas an Myra muss sein Interesse geweckt haben. Er wartete auf die ersten Gebote, doch als keines kam legte er selbst eines fest. Die Händler aus dem Osten waren verblüfft über den bislang stillen Mitbieter, aber als nun jener Grundstein gelegt war machten auch sie ihre Angebote.
Alam Mu'hab hätte sicherlich auch mehr als 10 Goldstücke für Myra hingelegt, doch das war überhaupt nicht nötig. Die Händler aus dem Osten schüttelten nur den Kopf und überliessen ihm das Angebot breitwillig, wer will denn schon eine solche kümmerliche Sklavin erwerben?

Unterdessen erreichte ein gewisser Norian eiligst die Stadt, er war spät dran und das war ihm bewusst. Ihm war auch bewusst, dass diesen Mittwoch ungewöhnlicherweise eine Sklavenauktion stattfand und an dieser wollte er unbedingt teilnehmen. Doch so schnell er auch unterwegs war, die Zeit reichte einfach nicht und als er in das Auktionshaus trat, war schon alles verkauft. Einzig Myra war noch da und wurde gerade auf die Bühne geführt.
Norian blieb im Hintergrund, während die Händler zusammen mit Scheich Mu'hab den Preis in die Höhe trieben, und musterte solange das junge Mädchen, ihren Körper, ihre Verfassung und ihren Geist. Diese Fähigkeit, Leute mit einem Blick einzuschätzen, war für ihn als Sklavenhändler äusserst wertvoll. So hatte er keine Mühe, Myras wahres Ich zu erkennen und sah vor seinem geistigen Auge das lachende Mädchen, welches so viele jahre ihrem Vater treu gedient hatte. Beiläufig hob sie ihren Kopf und für einen kurzen Augenblick streiften sich ihre Blicke.
"10 Goldmünzen zum Ersten.. zum Zweiten, und zum..." da horchte er auf. "Zwölf Goldmünzen!" rief er nach vorne und erntete sämtliche Blicke der Anwesenden. Ganz besonders Alam Mu'hab starrte ihn überrascht an. Welcher Fremde, der vor wenigen Augenblicken noch gar nicht anwesend war, würde ihm dieses nutzlose Mädchen streitig machen? Doch dieses Gebot war für ihn eine stille Kriegserklärung, er konnte nicht einfach klein beigeben und sie diesem vermummten Fremden überlassen, der zu Feige war sein Gesicht zu zeigen. "15 Goldmünzen!" rief er nach vorne, "20!" kam es von Norian zurück, "40!" überbot der Scheich und als sogleich ein "50!" zurückkam stand er auf und rief spöttisch: "Fremder, der ihr euch nicht zu erkennen gebt, könnt ihr euch das übehaupt leisten?"
Norian zeigte sich davon unbeeindruckt, ging an den Stuhlreihen vorbei nach vorne und liess klimpernd einen Sack Goldmünzen auf der Bühne fallen, so dass einige der Münzen hinausrutschten. Er nutzte die Gelegenheit, um Myra noch einmal aus der Nähe zu betrachten, und war sich nun sicher. "Und könnt Ihr es Euch leisten, Fremder?" rief er fordernd zurück, nur kannte er den Scheich nicht und hatte deswegen eine Kleinigkeit übersehen. Sicherlich war er keine starke Persönlichkeit, doch mit seinem grossen Geldbeutel konnte er sich einen Dickkopf leisten.
Ein Moment der Stille erfüllte die Auktionshalle, bis der Scheich dann lachte, aufstand, und ebenfalls einen Beutel mit klimpernden Goldmünzen auf die Bühne fallen liess. "Ihr fragt Alam Mu'hab tatsächlich, ob er sich eine lumpige Sklavin leisten kann? Fremder, Ihr müsst wahrlich neu in der Gegend sein!" Norian liess ein freundschaftliches Schulterklopfen über sich ergehen und gestand sich den Fehler ein. Gegen ihn und seinen Dickkopf konnte er nicht gewinnen, aber er musste Myra einfach haben, sie war diejenige, die er suchte!
"Oh Scheich Alam Mu'hab, bitte vergebt meine Aufsässigkeit, ich wusste ja nicht mit wem ich es hier zu tun habe!" fing er gesenkten Blickes an, um des Scheiches Selbstwertgefühl zu befriedigen, "Doch ich flehe Euch an, ich muss vor Ablauf der Woche eine Sklavin finden und diese scheint mir die letzte dieser Auktion zu sein, bitte überlasst sie einem einfachen Händler." Der Scheich liess sich von den Worten einwickeln und nickte grinsend, "Hundert Goldstücke. Für 100 Golstücke könnt ihr sie heute Abend in meinem Zelt abholen."
Nicht nur Norian blickte ihn entsetzt an, obschon seine Reaktion als Einzige gespielt war. Die Händler aus dem Osten tuschelten angeregt miteinander und der Beamte von der Stadtwache lauschte zuversichtlich dem Gespräch. Wer hätte gedacht, dass diese Auktion doch noch einen Schatz hervorbringt, einen, der hoffentlich gleich in die Stadtkasse wandert? Norians Bedenkzeit war um und er nickte wehmütig. So wurde der kleine Wettstreit beigelegt, der Scheich ersteigerte Myra für 50 Goldmünzen und die Auktion war beendet.

Der Rest des Tages war für Myra alles andere als angenehm, denn der Scheich war sauer ob dieser Pleite. 50 Goldmünzen, ein halbes Vermögen für eine dumme Sklavin, die nichts taugt! Und dann auch noch bei einer Auktion, die am Ende mehr oder weniger abgebrochen wurde! Er war fest entschlossen, Norian die Suppe zum Schluss noch einmal kräftg zu versalzen, auch wenn er durch ihn bald das doppelte an Gold zurückerhalten würde.
Als jener dann des Abends das Zelt des Scheiches besuchte, wurde er freundlich empfangen und direkt zum Essen eingeladen, doch Norian ging nicht auf die Heuchelei ein, wollte nur Myra abholen und wieder verschwinden. "Schade, Fremder, doch wenn ihr keinen Hunger habt...", der Scheich grinste, "Kommen wir also zum Geschäft, bringt die Sklavin herein!"
Norian hatte damit gerechnet, Myra nicht in bestem Zustand vorzufinden, doch was er dann sah liess ihn einen Moment stocken. Sie konnte kaum gehen, musste von den beiden Männern halbwegs geschleppt werden, ihr Körper war übersäät mit Striemen und die Augen verbunden, das Augenlicht ward ihr genommen. Für den Scheich war dies der Hochgenuss des Abends und er lachte herzhaft, "Bitte sehr mein Freund, für 100 Goldmünzen wie es abgemacht war!"
Was dabei in Norian vorging war leicht zu erraten, doch er riss sich zusammen und rastete nicht aus. Was mit ihr geschehen war liess sich nicht mehr ändern und für Rache war die Situation nicht geeignet. Wortlos liess er den klimpernden Beutel auf die Decken fallen, erhob sich und nahm die weinende Myra in die Arme. "Wir gehen." waren seine einzigen Worte und so verliess er mit ihr zusammen das Zelt.

Einige Tage, nachdem Norian und Myra die Stadt wieder verlassen hatten, fand man Scheich Alam Mu'hab mit aufgeschlitzter Kehle in seinem Zelt vor und niemand wusste so genau, wer das getan hatte und warum. Es erinnerte sich auch keiner an eine bedeutungslose Sklavin, als man in den Augen des Scheichs einen grossen Glassplitter fand.
Myra fügte sich derweilen schnell ihrem neuen Schicksal, denn Norian war ihr ein guter Herr und störte sich nicht an ihrer Blindheit. Er behandelte sie streng aber liebevoll und sie war ihm so treu und ergeben wie ihrem Vater zuvor, nein mehr, sie fühlte sich zu ihm hingezogen und war bereit ihr Leben für ihn zu geben, hätte er nur danach verlangt. In seiner Gegenwart konnte sie wieder lachen und fröhlich sein, fühlte sich sicher und geborgen und für ihn konnte sie wieder tanzen, was sie zutiefst glücklich stimmte.
Und auch Norian, der an jenem Tag den Jahreslohn einer Grossfamilie für eine einfache Sklavin auf den Tisch legte, war glücklich und zufrieden, denn mit welcher Summe vermag man schon die Liebe aufzuwiegen?


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