Vanessa in Boston

Concord

Irgendwann 2287, Nachtrag
Ach du meine Güte, Dan!

Stechmückenattacke

Das wär nichts für dich; auf dem Weg nach Concord wurden zwei Stechmücken auf mich aufmerksam. Also nicht die Kleinen, die man mit der Hand zerquetscht sondern riesige, stechende, saugende, eklige,... Mistdinger! Brr! Streuner hat sich erneut als hilfreich erwiesen, der Hund kann richtig hoch springen, wenn er will!

Concord selbst wirkte auf den ersten Blick ziemlich ausgestorben. Es war schon recht unheimlich, durch die leeren Gassen zu schleichen, an eingebrochenen Wänden, zerstörten Fenstern und zugenagelten Türen vorbei. Überall lauerte die Gefahr, glaube ich, oder eher, fürchtete ich. Aber dann hörte ich Schüsse, zum Glück möchte man sagen! Das war immerhin eine reale, greifbare Bedrohung.
Es handelte sich um ein paar Raider, also rücksichtslose Plünderer, die ein altes Museumsgebäude angriffen. Ein komischer Kauz mit Cowboy-Hut und einer Laserwaffe stand hoch oben auf seinem Balkon und verteidigte von dort aus das Gebäude. Ich schätze, er hätte es auch gut ohne meine Hilfe geschafft, aber da die Raider mich nicht bemerkten, war es ein Leichtes, ihnen in den Rücken zu schiessen. Ich weiss, was du jetzt denkst, Dan, aber so einfach wie ich es hier schreibe, war es bei weitem nicht. Menschen zu erschiessen, noch dazu hinterrücks, aber einen fairen Kampf traute ich mir einfach nicht zu. Nicht, weil ich alleine war, sondern vielmehr wegen ihrer aggressiven, degenerierten Art, die sie gegenüber dem Cowboy an den Tag legten.

Minuteman

Der Cowboy hiess Preston und aus der Nähe betrachtet passte der Hut ganz gut zu ihm. Er hatte sich mit seiner kleinen Gruppe schon länger in diesem Museum verschanzt und für Schutz gesorgt, darum nannte er sich selbst "Minuteman" – in einer Minute ausgerüstet und bereit, Leben zu retten. WIr kamen schnell ins Gespräch und wie sich herausstellte, gab es auf dem Dach des Museums eine funktionierende Powerrüstung, der lediglich eine Energiezelle fehlte. Ob dus glaubst oder nicht, Dan, aber ich hatte genau so eine dabei. Gut, die hatte ich im Keller des Museums gefunden mitgenommen, wo sie einen alten Generator antrieb. Ich dachte mir, ohne Strom sei es einfacher, die weiteren Raider im Gebäude zu vertreiben. Ich bin ja weiss Gott nicht die beste Schützin, aber diese Raider waren schon ziemlich unfähig im Umgang mit ihren Waffen. Ob das an den völlig improvisierten Gewehren lag? Ich denke eher, im Laufe der Jahrzehnte ging vieles an Wissen verloren, vielleicht auch, wie man richtig schiesst. Und bestimmt auch, wie man so eine Waffe überhaupt baut. Irgendwann wird hier wohl alles nur noch zusammengeflickt und improvisiert sein, oder sind wir vielleicht sogar schon an diesem Punkt?

Etwas muss ich dir doch noch gestehen, Dan. Nach dem Gespräch mit Preston brauchte ich etwas Zeit für mich selbst und schlug ihm daher vor, das Museum nach brauchbaren Gegenständen zu durchsuchen. So ging ich wieder runter und sah dabei nochmal die ganzen Leichen und das Blut zwischen den abgerissenen Wänden, eingebrochenen Fussböden und zerborstenen Türen. Statt aber tatsächlich etwas zu suchen ging ich wieder nach draussen, wo noch immer die ersten drei Leichen lagen, und da fühlte ich etwas Seltsames. Ich ging vor der einen in die Hocke und betrachtete sie aus der Nähe, ihre zusammengeschusterte Kleidung, die geschundene Haut, die kaputten Zähne und dazu die improvisierte aber dennoch tödliche Waffe in ihrer Hand. Ich hätte mich schlecht fühlen sollen, aber es ging einfach nicht. Zugegeben, es war kein fairer Kampf gewesen, aber diese Plünderer zeigten ihrerseits auch keinerlei Fairness. Zweifellos hätten sie Preston früher oder später erwischt und seine Leute dann... naja, du weisst selbst, was solche Menschen mit ihren Opfern machen. Ich will fast sagen, es sind eigentlich keine Menschen mehr.

Ich schloss die Augen und liess den Kampf noch einmal revue passieren. Meine Schüsse, einer davon tödlich, bohrten sich in den Rücken dieser Frau, und als sie zu Boden ging, waren ihre Begleiter bereits tot. Und obwohl die weiteren Raider drinnen das nicht wussten, schossen sie auf mich als wäre ich ihr ärgster Feind. Dabei hatte ich die Waffe längst wieder im Gürtel verstaut. Verstehst du? Sie schossen nicht auf mich, weil ich eine Bedrohung für sie war sondern einfach nur, weil sie mein Gesicht nicht kannten! In was für einer Welt bin ich hier nur aufgewacht? Ist hier ein normales Leben überhaupt noch möglich? Und was heisst das eigentlich, normal? Ist es hier normal, andere über den Haufen zu schiessen?

Ich denke, dass dies mein Moment der Erleuchtung war. Fressen oder gefressen werden, das waren die Regeln der Raider. Aber solange es Leute wie mich und Preston gab, bestand noch Hoffnung. Schwer seufzend, aber frei von Mitleid, sammelte ich die Waffen ein und fand auch noch einen richtigen Cowboy-Hut für mich, der nicht stinkte. Vielleicht war dies ja mein Schicksal? In Lederkluft, mit Hut, Revolver und Streuner an meiner Seite das Unrecht zu bekämpfen? Stellte sich nur die Frage, welches Recht überhaupt noch galt, oder besser gesagt, noch angebracht war und tatsächlich durchgesetzt wurde.

Scheriff mit Streuner

Aber eines ist sicher: So wie diese Raider werde ich mich nicht aufführen. Nicht hier, nicht heute und auch nicht in Zukunft. Vielleicht braucht die Stadt ja einen neuen Sheriff... meinst du, das würde ich hinkriegen? Ich weiss, ich weiss, von Stadt kann hier gar nicht die Rede sein. Ich glaube, dieses Nest ist abgesehen von Preston und seiner Gruppe völlig verlassen. Und sobald das mit den Raidern hier geklärt ist, wird auch er schnurstracks weiterziehen, so viel steht fest. Wohin es mich dann verschlagen wird, das werden wir noch sehen...

Deine Vanessa
Thema: Concord


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