Mein Herz brennt
12. Januar 2007 von Varon
Komm auf die düstere Seite der Magie. Wandel zwischen den Albträumen. Sieh, was passiert, wenn Flut und Ebbe in Ungleichgewicht geraten. Sieh, was passiert, wenn die Zeit Dich einholt.
Jan ist ein Journalist Mitte 20, besitzt ein chaotisches Leben und eine feste Freundin. Bis ihn ein Traum aus seiner Vergangenheit einholt. Ein Albtraum. Und zu schnell versteht er, dass ein Wesen aus den Irren der Zeit in die Moderne des Lebens gekehrt ist.
Achtung: Die Geschichte könnte gegen persönliche Moralverständnisse und Toleranzbereiche, besonders im religiösen Bereich, sprechen. Ebenso werden Grausamkeit, Blutbad und Krieg sowie psychothrillerähnliche Elemente auftauchen. Inspiriert war ich von dem Rammstein-Album "Mutter", jedoch tragen nur die Kapitel Liednamen - der Inhalt hat essenziell rein gar nichts damit zu tun.
Die Nacht schickte ihre Weiten aus. Das dunkelste Herz öffnete sich und entließ seine Finsternis. Lange bog sich der Schatten über das kleine Bettchen. Sanft kräuselten noch die Staubfetzen des Schlafliedes seiner Mutter um das weiße Kissen. Es war still. Die Augen hatte er geschlossen, um sich der Meisterin der Träume hinzugeben. Mutter Nacht im Sternenkleid wob ihre feinsten Gespinste, ihre süßesten Geschichten. Der Mond erwachte. Und mit ihm das Alte. Einst wurde es fort getragen. Ertränkt. In den Tiefen eines Vergessens. Doch es kam wieder. Die Dämonen unter dem Bett zogen mit ihren dürren Fingern am Geäst der Traumweberin und schickten in den sanften Schlaf des Jungen die Unerbittlichkeit. Nicht erholt würde er am Morgen aufwachen, sondern schweiß gebadet, mit vor Schrecken und Ängsten geweiteten Augen. Der Albtraum war ein simpler. Die Tür zum dunklen Kinderzimmer stand einen Spalt weit offen, das Licht aus dem Flur drang noch hinein. Entfernt waren das Gelächter und die Unterhaltungen der Erwachsenen zu hören. Doch neben der Dunkelheit lauerte eine Schwere wie der einzelne, tiefe Ton eines toten Basses. Irgendwo in einer staubigen Ecke, in der nur schwer zu erkennen war, was sich in ihr verbarg, da lag er wohl. Darauf wartend, dass irgendjemand ihn spielte. Der dunkle Eichenholzschrank stand dem Bett gegenüber. Zwischen die Füße hindurch konnte man ihn sehen. Es war schlecht, jemals auf die Idee zu kommen, in ihn hinein zu sehen. Nicht nach Anbruch der Dunkelheit. Der Schrank war so groß. Er besaß zwei Türen. Ein Schlüssel hielt sie verschlossen. Doch der Schlüssel drehte sich. Zum mindest war es das, was den Anschein hielt… in Wirklichkeit wurde er nur schleichend langsam aus dem Schloss geschoben, so, als wolle der jenige dahinter nicht, dass jemand es sah. Mit einem leisen Klirr, einem hohen Triangelschrei, fiel er zu Boden. Sein Weg bis zum Teppich war lang, zu lang, warum fiel der Schlüssel nur so lange? Er wagte es, den Kopf zu drehen und sich aus dem Bett zu beugen. Seine Füße endeten in Schatten. Wie hoch lag er nur, dass er den Boden nicht sehen konnte? Ein leises Knarren riss seinen Blick durch die Zimmerdunkelheit zurück auf den Schrank. Im Augenwinkel bekam er mit, dass auch die Tür und der Lichtspalt weiter gezogen waren, sie fuhren hinaus auf das tosende Meer, welches sein Teppich nun darstelle. Doch dafür waren der Schrank und seine spaltbreite Öffnung nun ganz nahe an das Bett heran gerückt. Nur drang aus diesem nicht das Licht der Realität, sondern eine noch viel epischere Schwärze, als in seinem Zimmer herrschte. Und sie breitete sich aus, floss wie Teer an dem Holz herab, hinein in die tiefen Fluten. Und auf diese Weise öffnete sich die Schranktür langsam und ergoss ihre Pein in das Kinderzimmer. Das Pech floss die Wände aufwärts, konzentrierte sich über seinem Kopf zu einem schwarzen Stalaktiten und ließ auf seinen Scheitel beständig einen Tropfen Terror fallen, welcher ein zu intensives Echo besaß. Dann endlich… trat jemand aus dem Schrank heraus. Zu erst war nur seine bleiche Hand zu sehen, überzogen von hellgrauer Haut, welche sich ihm entgegen streckte, damit er sie nahm. Doch er lag wie gelähmt. Das Blut rauschte in seinen Ohren, die Hand kam immer näher, er konnte sie nicht ergreifen. Dafür aber drehte sie sich nun, wurde zu einer Klaue. Die Knochen traten aus dem Handrücken hervor, die schwarzen Fingernägel bogen sich ihm entgegen, die Augen auszukratzen. Der Arm, der folgte, war bedeckt von schwarzem Stoff, der wog und zerrte wie geifernde Höllennacht. Und schließlich waren es die Worte. Über das totenbleiche Gesicht fielen dunkle Haare, denen der violette Schimmer der Pest anhaftete. Einem Tentakel gleich streckte sich atmende Tinte aus dem Mund in den Bart hinein. „Mein Herz brennt.“
Jan wachte mit einem vor Angst der Vergangenheit rasendem Herzen auf. Er fuhr sich ein-, zweimal durch die kurzen, aschblonden Haare. Der Traum war zu intensiv gewesen, um ihn vergessen zu haben. Zu eingebrannt in sein Unterbewusstsein, in seiner Selbst Kindheit. Schnell hatte er sich wieder gefasst und einen Block geschnappt. Er schlug die Decke bei Seite und setzte sich an die Bettkante. Nicht einmal das Nachttischlämpchen schaltete er ein. Mein Herz brennt. Er kritzelte diese drei Worte in einer absurden Eiligkeit auf, als hätte er begründete Furcht, sie wieder zu vergessen. Erst, als er sie niedergeschrieben und langsam mit zitternder Hand seinen Block zurückgelegt hatte, beruhigten sich er und sein Puls auch wieder. Jan fuhr sich über den Mund und betrachtete im Stillen Papier und Stift. Ein Schauer wanderte ätzend langsam seinen nackten Rücken herunter. Er stammte von dem kühlen Nachtwind der Großstadt. Das Fenster stand offen, auch wenn Jan sich nicht daran erinnern konnte, es vor dem Schlafengehen geöffnet zu haben. Gardinen besaß er nicht, weshalb sein Blick ungehindert auf die einsamen, distanzierten Lichter auf den Straßen fallen konnte. Jan verengte die Augen ein wenig, legte sich zurück in sein Bett und zog die Decke über den Kopf. Der Wecker klingelte früh, doch hatte Jan ihn nicht gehört. Als er erwachte, stand die Sonne längst am Mittagszenit und ein müder, verschlafener Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es kurz nach 12.00 Uhr war. Jans noch vom Schlaf gematerter Blick wanderte von der digitalen Anzeige des Weckers zu einem einsamen Notizblock und einem Stift. Und mit einem Mal war er hellwach und wusste auch genau, warum es nicht schlimm war, dass er verschlafen hatte und heute nicht im Büro erscheinen würde. Jan war Journalist. Er wusste genau, was in gewissen Momenten höchste Priorität hatte. Und an diesem Dienstagmorgen, kurz nach 12 waren es drei Worte. Jan hob den Zettel auf und lief, ohne auch nur daran zu denken, sich etwas anzuziehen, in die Küche. Dort überließ er es der Kaffeemaschine, den morgendlichen Dienst des Energieproduzierens zu übernehmen. Er setzte sich mit dem Stift und dem vergangenheitsgeplagten Stück Papier an den kleinen Holztisch. Mein Herz brennt. Das war es. Um sicher zu gehen schrieb er den Namen des Grauens aus seiner Kindheit noch einmal direkt darunter: Treah Nurb. Mein Herz brennt. Brun Haert. Herz brennt. Burn heart. Jans Hand lag auf dem Zettel. Er merkte nicht einmal, wie sie sich verkrampfte und das unschuldige Papier in ein geknittertes Elend verwandelte. Es war kein Zufall, dass er genau denselben Traum wie von vor 15 Jahren hatte. Und es war gewiss kein Zufall, dass Treah Nurb ihm heute seinen Namen entschlüsselt Preis gegeben hatte. Sowie seine Gründe für sein Dasein. Sein Kommen. Er war da.
Es war ein ruhiger Winter des Jahres 1561. Der Bodenfrost hielt sich gering und die kleine Gemeinde Bernfeldes war auf ihrem morgendlichen Weg zur Sonntagsmesse. Die Sonne kroch noch müde über den Horizont und ließ den nahen Wald in Gottes Werk glitzern. Die weiße Pracht lag dünn über der Natur wie ein beschauliches Malwerk. In der Kirche war es kalt, so dass die Menschen alle dicht aneinander gedrängt saßen und ihre Glorien der Nächstenliebe wurden von zierlichen Atemwölkchen in himmlischem Weiß begleitet, um sich mit dem süßen Duft des heiligen Weihrauches zu vermischen. Ein Lächeln lag auf dem kleinen, gütigen Pfarrer der Gemeinde, weil er hörte, wie der Frieden und der Segen des Herrn in den Gemütern seiner Schafe Platz genommen hatte. Dann wurden mit einem Schüttern die beiden großen Flügel des Portals zum Hause Gottes geöffnet. Zusammen mit einem Mann fraß sich der Odem des Winters seinen Weg über die breiten Steinfliesen der Kirche. Der Gesang verebbte wie die Flut der Liebe, mit der er gekommen war und alle Gesichter drehten sich. Das Halleluja wurde ersetzt durch bäuerliches Tuscheln über den, der das Heiligtum Bernfeldes betreten hatte. Er war von nicht großem Wuchs und dürr wie der zitternde Stamm einer Sumpfbirke. Sein langer, weißer Umhang zog sich über den Boden und warf schmelzenden Schnee auf ihn. Seine Kleidung war von Kopf bis Fuß von einem Schwarz, das man meinen konnte, sie wäre aus dem Saum der Nacht persönlich geschneidert worden. Die Hände des Mannes waren so blass, dass man die blauen Adern sehen konnte und seine Finger von leichengrauer Hautfarbe. Sein Gesicht war bleich wie das eines Toten und die Haut zog sich aschfahl über die markanten Wangenknochen der eingefallenen Züge. Der Wind, der mit ihm eingekehrt war, fegte durch den schwarzen Zopf, doch viele der dunklen Haarsträhnen, welche in dem Kerzenlicht des Friedens in unheimlichem Violett schimmerten, hingen ihm über die Augen. Und sie waren es, welche die Menge so voller Furcht tuscheln und den Pfarrer haben verstummen lassen. War das rechte doch so aschfahl wie seine gesamte Erscheinung, glühte sein linkes Auge in grellem Grün, als wolle es jeden einzelnen erdolchen. Doch hing sein Blick nur an dem Gottesdiener vor dem Altar und ihm folgten seine Schritte nach. Laut krachend fiel die Tür der Kirche hinter dem Mann ins Schloss und ließ die Menge zusammen zucken. Der Gemeindepfarrer hielt voller Stolz und fragendem Blick sein Gesangsbuch vor die Brust. Es war, als flüstere der Azrael persönlich in sein Ohr. Ein Schrei ließ jede Wärme in der Kirche sterben, als der Fremde einen gebogenen Dolch zog, einen Opferkris und ihn durch das liebliche Gesangsbuch direkt in die Brust des Priesters stieß. Mit einer unbarmherzigen Wucht ließ er seinen Arm in Papier und Fleisch versinken, mit dem röchelnden Mann schritt er nach vorne an den Altar und stieß ihn gegen das einfache Gestein. Der Wahnsinn erfasste die Meute. Kinder fielen weinend zu Boden, schlugen sich die Köpfe auf. Alte Frauen wurden niedergetrampelt, ein junger Mann mit der Kehle an die Wand des Gotteshauses gedrückt. Die Panik ergriff das Menschengeschlecht, doch der Teufel am Altar gab nur ein angewidertes Geräusch von sich, als er seinen Arm aus dem warmen Blut zog und ihn am erzengelweißen Altartuch säuberte. Er drehte den Kopf ruckartig, als der erste Ergriffene in heillosem Chaos der wogenden Masse nach der Tür fasste. Nur ein Stück Holz stand zwischen ihm und der Freiheit. Nur ein Stück Holz stand zwischen ihm und dem Gottmord. Nur ein Stück Holz stand zwischen ihm und der Blasphemie. Doch seine Gedanken erstarben urplötzlich, als sich kalter Stahl durch seinen Hinterkopf bohrte, sein Gehirn durchschnitt und seinen Kopf an der Tür festnagelte. Der Mann am Altar hatte den Dolch geworfen und nun stand er wie der Tod auf dem mit Opferblut besudeltem Heiligtum. Hielt die Bibel in der Hand. Sie brannte.
Die dunklen Geschichten der Hexenverbrennung werden in jeder Schule gelehrt. Die finsteren Foltermethoden der Inquisition und die Grausamkeit des langsamen Sterbens abertausender Frauen, Kräuterweiber und ebenso ihrer Männer. Wie eine Gehirnpest hatte der Wahnsinn das Mittelalter ergriffen. Doch kein Buch berichtet über die Niederlagen der Kirche. Kein Kapitel erzählt von den wahren Hexen. Keine Legende weiß um Treah Nurb. Nun – zum mindest keine offizielle und nie würden es die heutigen Kirchenväter zu lassen, dass ein Wesen der Dämonen allein mit seinem Namen eine Erinnerung gewinnt. Diese Vertuschung galt nicht zwingend dazu, um die Niederlagen der Kirche zu verheimlichen. In einer Zeit der Sekten und in der Satanismus und Okkultismus zu abartiger Moderne gewannen, würden wahre Berichte über die schwarzen Seite der Magie Pseudoböse und Trendteufelsanbeter genauso wie Fliegen anziehen, wie wirklich okkulte Wahnsinnige und irre Sektenanführer und –gründer. Doch Jan war Journalist. Und die Primäraufgabe eines solchen wird auf immer das Aufdecken von Unaufgedecktem bleiben. Seine Anhaltspunkte waren freilich winzig und sehr wenige. Ein Albtraum, den er mit 10 Jahren und nun noch einmal im Erwachsenenalter geträumt hatte. Eine Aussage, „mein Herz brennt“. Und ein Name. Treah Nurb. Die psychologische Allgemeinheit weiß heut zu Tage, dass in Träumen Erlebtes vom Gehirn verarbeitet wird. Dieses mischt sich mit ungeklärten Fragen, möglichen Stressproblemen sowie Erinnerungen. Es sei auch durchaus normal, dass man oft ein und den selben Traum hat, besonders auch bei Albträumen. Psychologisch gesehen symbolisieren sie meist verborgene Ängste, Panik oder Missstände der Kindheit. So genannte Visionen können mit dem einfachen Begriff sich selbst erfüllende Prophezeiung erklärt werden. Wenn man weiß, dass etwas passiert, wird man unterbewusst auch alles daran setzen, dass es passiert. Oder einfach hineininterpretieren. Doch war dieser Albtraum vom brennenden Herzen nicht dieser Art gewesen. Es war, als wäre Jan beide Male unmittelbar im Geschehen gewesen. Selbst als er aufgewacht war glaubte er noch, Schatten zu erblicken, viel zu dunkle Schatten, welche sich eiligst bemühten, unter dem Bett oder in einem Schlitz zu verschwinden. Beim ersten Mal war zudem die fest verschlossene Schranktür weit geöffnet gewesen und nun, nach 15 Jahren, sein Fenster, welches selbst in einem Sturm eher zersplittern als sich eigenständig öffnen würde. Entweder, schloss Jan, war er paranoid. Aber nur, weil man nicht glaubt, paranoid zu sein, heißt das nicht, dass man nicht auch verfolgt wird. Gefrühstückt hatte Jan nicht mehr, sah man einmal von der Tasse starkem, pechschwarzem Kaffee ab. Seine Gedanken kreisten zu extrem um den Fakt der Dunkelheit seines Albtraums. So sehr, dass sein Magen es nicht einmal wagte, Hunger zu melden. Er zog sich zwei Pullover über den Kopf und griff nach seiner Umhängetasche. Eilig und mit tief gedankenverlorenem Blick stopfte er rasch Digitalkamera, Notizblock, Bleistift, zwei unbeschriebene CD’s und die Autoschlüssel hinein und hatte noch nicht einmal richtig die Schuhe angezogen, doch die Tür schon aufgerissen. Noch nie war er so hektisch die Treppe im Hausflur seines Wohnblockes herunter gerannt. Hatte die Tür seines TÜV-fälligen Autos aufgerissen. Erst, als er hinter dem Steuer saß und schon den Motor laufen ließ, hielt er inne. Jan horchte in sich. Seine Finger umschlossen das Lenkrad fester, ohne dass er es mitbekam. Ruhe. Und Konzentration. Überstürzt wie ein Held im Kriminalroman war er aufgebrochen. Ohne genau zu wissen, wohin er fahren sollte. Wo er suchen sollte. Treah Nurb, brennendes Herz, die Bilder in seinem Kopf. Und Schatten. Aber nichts von alledem würde ihm verraten können, was, wen und wo er seine Suche des Wahnsinns beginnen sollte. Jan lehnte sich zurück und kaute einige Momente der Unschlüssigkeit auf seiner Unterlippe herum. Dann drehte er den Zündschlüssel endgültig um und fuhr mit quietschenden Reifen aus der Parklücke. Jan hielt in einer Straße der neureichen Villenbesitzer außerhalb der Stadt. Alle hier wohnenden Menschen schienen den Tag verpasst zu haben, an dem Gott den guten Geschmack vergeben hatte. Die Vorgärten waren gespickt mit Plastikflamingos. Gartenzwergen und Tonrehen. Vogelbecken aus Keramik. Englischem Rasen darunter. Die Villen selber trugen die unsichtbare doch für jeden Betrachter lesbare Aufschrift, dass ihr Besitzer zu viel Geld besaß. Jans Blick wanderte an eben einem solchem architektonischen Missgriff entlang. Ein unter Glas behütetes Schild am eisernen Gartentor verriet, dass es dem Diplom Psychologen Doktor Professor Siegmund van Derwehr gehörte. Jan fand es übertrieben, seinen Vornamen als Psychotherapeut in ein Schild zu gravieren, wenn man Siegmund hieß. Die Eisentür stand offen und auch wenn Jan keinen Termin hatte, so war er sich sicher, dass sein Presseausweis genügen würde, den Herrn Doktor für einen solchen zu überreden. Das Wartezimmer war überraschend einladend. Keines, wie man es vielleicht von einem Zahnarzt gewohnt war, welches augenblicklich dazu animierte, es zu verlassen. Doch hier waren die Wände nicht kalkweiß oder geheuchelt sonnig gelb. Von einem warmen Türkiston und Bilder von Gabriele Münter sowie Frank Mark hingen an der Wand. Jan betrat wie ein unerwünschter Gast den behaglichen Raum. Es gab keine Sekretärin. Eher schien es, als stünde Jan schon im Wohnzimmer des Hausbesitzers. Doch war sein Kommen nicht unbemerkt geblieben. Ihm gegenüber öffnete sich eine helle Holztür und ein kleiner Mann mit Halbglatze, Nickelbrille und grauem Wollpullover trat ihm entgegen. Er hatte diese Art von freundlichem Psychologen-Lächeln. Jan war sich sofort sicher, van Derwehr gegenüber zu stehen. Da er noch am Eingang stand wie verirrt, lächelte Jan unbeholfen zurück. „Sind sie wegen einem Termin da? Ich habe bis nächsten Monat nichts mehr frei. Sie müssen sich gedulden.“ Jan nickte, lugte aber hinter den Rücken des Mannes zur Tür. Sah nicht aus, als säße dort jemand. „Mister?“, fragte van Derwehr und Jan sah rasch zu ihm zurück. Fand nun auch wieder Worte. „Nein, ich bin nicht wegen einem Termin da… das heißt, doch, in gewisser Weise schon.“ Er griff in seine Hosentasche und zog den geknickten Presseausweis hervor. Van Derwehr schob die Brille nach unten und blickte diesen voller Interesse eines Psychotherapeuten, welcher nach Popularität gierte, an. „Oh! Sind sie gekommen, um einen Artikel über meine Arbeit zu verfassen?“ War wohl doch ein Termin frei. Laut Stimmlage zu mindest. „Jain.“, haderte Jan nur wieder. „Aber wenn sie mir helfen, Herr van Derwehr, ein Rätsel zu lösen, dann taucht ihr Name sicher groß in einem Artikel in der Zeitung auf.“ Siegmund lächelte jetzt schmierig und sah von dem Presseausweis zu dem viel größeren Gast auf. „Kommen sie ruhig rein, Herr…“ „Hagen. Jan Hagen.“ Hatte das Wartezimmer noch wie eine Wohnstube gewirkt, so entsprach der Therapieraum ganz einem Klischee. Es gab auch tatsächlich das rote Sofa. Und auf diesem saß Jan nun, neben ihm van Derwehr mit einem Notizblock. Es war ja keine Sitzung. Doch beschlich ihn der Verdacht, dass es eine werden würde, allein wie der Psychotherapeut auf seinem Bleistift herum kaute und die Stichpunkte anstarrte. „Der Albtraum war also derselbe, wie vor genau 15 Jahren.“ „Jep.“ „Da erinnern sie sich ganz genau?“ „Hunderpro auf den Tag vor 15 Jahren.“ „Nun, die wenigsten Menschen wissen um die Symbolik der Zahl 15. Den Aberglauben führen schließlich die Sieben oder die 13 an. Dabei hat die 15 eine gewaltige Kraft. Nimmt man sie als Zehn und Fünf, so vereint sie geistige Vollkommenheit und Rückkehr zur Einheit mit der Zahl des Menschen. Selbst als Eins und Fünf hat sie enorme Kraft. Dann verbindet sie Einheit, Glück und Erleuchtung mit dem Körper des Menschen, seiner animalischen Seele und der Psyche, seinem Intellekt und ebenso dem göttlichen Geist.“ Van Derwehr pausierte nachdenklich. Harmonie, Vollkommenheit, Glück – das klang nach nichts Schlechtem. „Aber die Fünf ist auch die Zahl des Illuminatenordens, da sie aus der Quersumme der 23 rührt.“, erklärte der Psychologe weiter und blickte auf. Jan zog die Augenbrauen hoch. „Dass mein Traum irgendetwas mit Illuminati zu tun hat, daran zweifle ich.“, erklärte er. Für ihn wirkte es sehr weit aus der Luft gegriffen, bei einer Zahl anzufangen. Ihm eine Sakrilegverschwörung vor zu interpretieren. „Ich glaube, es ist vollkommener Zufall.“ Jan beschlich das Gefühl, dass dieser Siegmund ihm kaum so gut weiterhelfen würde, wie der echte Freud. „Aber woher kommt dieser Ausspruch. Dieses… ‚mein Herz brennt’. Ich meine… ist es nicht seltsam, dass ich genau denselben Traum hatte, wie als 10 jähriger Junge, jedoch dieser… Mann, dieses Wesen statt Treah Nurb mir diesmal die Entschlüsselung seines Namens verriet?“ Jan sah van Derwehr groß an, der wohl etwas deprimiert schien, mit seiner Zahlensymbolik bei dem Journalisten keinen Fuß fassen zu können. „Tja Treah Nurb, Treah Nurb…“ Der Psychotherapeut nahm die Brille von der Nase, legte sie auf seinen Schoß und den Notizblock bei Seite. Er blickte seinen Gast wie ein tadelnder Vater an, verschränkte die Hände vor der Brust und seufzte. Sein grauer Wollpullover war verdammt hässlich. „Wissen sie Mister Hagen…“, begann er dann und Jan war klar, dass er jetzt auch schon gehen konnte und alles gesagt war, was es zu sagen gab, „… sie sind weder paranoid, noch haben sie prophetische Träume. Es ist mehr aus nur natürlich und gesund, dass sich Träume wiederholen, Albträume aus der Kindheit ganz besonders. Wahrscheinlich stehen sie nur unter Stress oder alte Kindesängste kommen wieder zu Tage. Gehen sie nach Hause und denken sie nicht darüber nach.“ Van Derwehr lächelte und deutete mit einem Gesichtsausdruck, der so hässlich wie sein Pullover war, an, dass Jan jetzt gehen konnte. Dieser erhob sich und mühte sich nicht einmal, dem Doktor der Psychologie die Hand zu geben. „Nur weil ich nicht paranoid bin, heißt das nicht, dass ich nicht verfolgt werde.“, sagte Jan eine Spur zu eisig und verließ das Sprechzimmer sowie die protzige Villa des Siegmund van Derwehr. Als Jan wieder in seinem Auto saß, war er von innerer Wut und Enttäuschung über diesen Fehlschlag besessen. Mehr auf sich selbst bezogen. Er hatte gehofft, er würde sich clever anstellen. Stück für Stück jenes Puzzles finden. Eben wie ein Held in einem Roman.
Jan ist ein Journalist Mitte 20, besitzt ein chaotisches Leben und eine feste Freundin. Bis ihn ein Traum aus seiner Vergangenheit einholt. Ein Albtraum. Und zu schnell versteht er, dass ein Wesen aus den Irren der Zeit in die Moderne des Lebens gekehrt ist.
Achtung: Die Geschichte könnte gegen persönliche Moralverständnisse und Toleranzbereiche, besonders im religiösen Bereich, sprechen. Ebenso werden Grausamkeit, Blutbad und Krieg sowie psychothrillerähnliche Elemente auftauchen. Inspiriert war ich von dem Rammstein-Album "Mutter", jedoch tragen nur die Kapitel Liednamen - der Inhalt hat essenziell rein gar nichts damit zu tun.
Die Nacht schickte ihre Weiten aus. Das dunkelste Herz öffnete sich und entließ seine Finsternis. Lange bog sich der Schatten über das kleine Bettchen. Sanft kräuselten noch die Staubfetzen des Schlafliedes seiner Mutter um das weiße Kissen. Es war still. Die Augen hatte er geschlossen, um sich der Meisterin der Träume hinzugeben. Mutter Nacht im Sternenkleid wob ihre feinsten Gespinste, ihre süßesten Geschichten. Der Mond erwachte. Und mit ihm das Alte. Einst wurde es fort getragen. Ertränkt. In den Tiefen eines Vergessens. Doch es kam wieder. Die Dämonen unter dem Bett zogen mit ihren dürren Fingern am Geäst der Traumweberin und schickten in den sanften Schlaf des Jungen die Unerbittlichkeit. Nicht erholt würde er am Morgen aufwachen, sondern schweiß gebadet, mit vor Schrecken und Ängsten geweiteten Augen. Der Albtraum war ein simpler. Die Tür zum dunklen Kinderzimmer stand einen Spalt weit offen, das Licht aus dem Flur drang noch hinein. Entfernt waren das Gelächter und die Unterhaltungen der Erwachsenen zu hören. Doch neben der Dunkelheit lauerte eine Schwere wie der einzelne, tiefe Ton eines toten Basses. Irgendwo in einer staubigen Ecke, in der nur schwer zu erkennen war, was sich in ihr verbarg, da lag er wohl. Darauf wartend, dass irgendjemand ihn spielte. Der dunkle Eichenholzschrank stand dem Bett gegenüber. Zwischen die Füße hindurch konnte man ihn sehen. Es war schlecht, jemals auf die Idee zu kommen, in ihn hinein zu sehen. Nicht nach Anbruch der Dunkelheit. Der Schrank war so groß. Er besaß zwei Türen. Ein Schlüssel hielt sie verschlossen. Doch der Schlüssel drehte sich. Zum mindest war es das, was den Anschein hielt… in Wirklichkeit wurde er nur schleichend langsam aus dem Schloss geschoben, so, als wolle der jenige dahinter nicht, dass jemand es sah. Mit einem leisen Klirr, einem hohen Triangelschrei, fiel er zu Boden. Sein Weg bis zum Teppich war lang, zu lang, warum fiel der Schlüssel nur so lange? Er wagte es, den Kopf zu drehen und sich aus dem Bett zu beugen. Seine Füße endeten in Schatten. Wie hoch lag er nur, dass er den Boden nicht sehen konnte? Ein leises Knarren riss seinen Blick durch die Zimmerdunkelheit zurück auf den Schrank. Im Augenwinkel bekam er mit, dass auch die Tür und der Lichtspalt weiter gezogen waren, sie fuhren hinaus auf das tosende Meer, welches sein Teppich nun darstelle. Doch dafür waren der Schrank und seine spaltbreite Öffnung nun ganz nahe an das Bett heran gerückt. Nur drang aus diesem nicht das Licht der Realität, sondern eine noch viel epischere Schwärze, als in seinem Zimmer herrschte. Und sie breitete sich aus, floss wie Teer an dem Holz herab, hinein in die tiefen Fluten. Und auf diese Weise öffnete sich die Schranktür langsam und ergoss ihre Pein in das Kinderzimmer. Das Pech floss die Wände aufwärts, konzentrierte sich über seinem Kopf zu einem schwarzen Stalaktiten und ließ auf seinen Scheitel beständig einen Tropfen Terror fallen, welcher ein zu intensives Echo besaß. Dann endlich… trat jemand aus dem Schrank heraus. Zu erst war nur seine bleiche Hand zu sehen, überzogen von hellgrauer Haut, welche sich ihm entgegen streckte, damit er sie nahm. Doch er lag wie gelähmt. Das Blut rauschte in seinen Ohren, die Hand kam immer näher, er konnte sie nicht ergreifen. Dafür aber drehte sie sich nun, wurde zu einer Klaue. Die Knochen traten aus dem Handrücken hervor, die schwarzen Fingernägel bogen sich ihm entgegen, die Augen auszukratzen. Der Arm, der folgte, war bedeckt von schwarzem Stoff, der wog und zerrte wie geifernde Höllennacht. Und schließlich waren es die Worte. Über das totenbleiche Gesicht fielen dunkle Haare, denen der violette Schimmer der Pest anhaftete. Einem Tentakel gleich streckte sich atmende Tinte aus dem Mund in den Bart hinein. „Mein Herz brennt.“
Jan wachte mit einem vor Angst der Vergangenheit rasendem Herzen auf. Er fuhr sich ein-, zweimal durch die kurzen, aschblonden Haare. Der Traum war zu intensiv gewesen, um ihn vergessen zu haben. Zu eingebrannt in sein Unterbewusstsein, in seiner Selbst Kindheit. Schnell hatte er sich wieder gefasst und einen Block geschnappt. Er schlug die Decke bei Seite und setzte sich an die Bettkante. Nicht einmal das Nachttischlämpchen schaltete er ein. Mein Herz brennt. Er kritzelte diese drei Worte in einer absurden Eiligkeit auf, als hätte er begründete Furcht, sie wieder zu vergessen. Erst, als er sie niedergeschrieben und langsam mit zitternder Hand seinen Block zurückgelegt hatte, beruhigten sich er und sein Puls auch wieder. Jan fuhr sich über den Mund und betrachtete im Stillen Papier und Stift. Ein Schauer wanderte ätzend langsam seinen nackten Rücken herunter. Er stammte von dem kühlen Nachtwind der Großstadt. Das Fenster stand offen, auch wenn Jan sich nicht daran erinnern konnte, es vor dem Schlafengehen geöffnet zu haben. Gardinen besaß er nicht, weshalb sein Blick ungehindert auf die einsamen, distanzierten Lichter auf den Straßen fallen konnte. Jan verengte die Augen ein wenig, legte sich zurück in sein Bett und zog die Decke über den Kopf. Der Wecker klingelte früh, doch hatte Jan ihn nicht gehört. Als er erwachte, stand die Sonne längst am Mittagszenit und ein müder, verschlafener Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es kurz nach 12.00 Uhr war. Jans noch vom Schlaf gematerter Blick wanderte von der digitalen Anzeige des Weckers zu einem einsamen Notizblock und einem Stift. Und mit einem Mal war er hellwach und wusste auch genau, warum es nicht schlimm war, dass er verschlafen hatte und heute nicht im Büro erscheinen würde. Jan war Journalist. Er wusste genau, was in gewissen Momenten höchste Priorität hatte. Und an diesem Dienstagmorgen, kurz nach 12 waren es drei Worte. Jan hob den Zettel auf und lief, ohne auch nur daran zu denken, sich etwas anzuziehen, in die Küche. Dort überließ er es der Kaffeemaschine, den morgendlichen Dienst des Energieproduzierens zu übernehmen. Er setzte sich mit dem Stift und dem vergangenheitsgeplagten Stück Papier an den kleinen Holztisch. Mein Herz brennt. Das war es. Um sicher zu gehen schrieb er den Namen des Grauens aus seiner Kindheit noch einmal direkt darunter: Treah Nurb. Mein Herz brennt. Brun Haert. Herz brennt. Burn heart. Jans Hand lag auf dem Zettel. Er merkte nicht einmal, wie sie sich verkrampfte und das unschuldige Papier in ein geknittertes Elend verwandelte. Es war kein Zufall, dass er genau denselben Traum wie von vor 15 Jahren hatte. Und es war gewiss kein Zufall, dass Treah Nurb ihm heute seinen Namen entschlüsselt Preis gegeben hatte. Sowie seine Gründe für sein Dasein. Sein Kommen. Er war da.
Es war ein ruhiger Winter des Jahres 1561. Der Bodenfrost hielt sich gering und die kleine Gemeinde Bernfeldes war auf ihrem morgendlichen Weg zur Sonntagsmesse. Die Sonne kroch noch müde über den Horizont und ließ den nahen Wald in Gottes Werk glitzern. Die weiße Pracht lag dünn über der Natur wie ein beschauliches Malwerk. In der Kirche war es kalt, so dass die Menschen alle dicht aneinander gedrängt saßen und ihre Glorien der Nächstenliebe wurden von zierlichen Atemwölkchen in himmlischem Weiß begleitet, um sich mit dem süßen Duft des heiligen Weihrauches zu vermischen. Ein Lächeln lag auf dem kleinen, gütigen Pfarrer der Gemeinde, weil er hörte, wie der Frieden und der Segen des Herrn in den Gemütern seiner Schafe Platz genommen hatte. Dann wurden mit einem Schüttern die beiden großen Flügel des Portals zum Hause Gottes geöffnet. Zusammen mit einem Mann fraß sich der Odem des Winters seinen Weg über die breiten Steinfliesen der Kirche. Der Gesang verebbte wie die Flut der Liebe, mit der er gekommen war und alle Gesichter drehten sich. Das Halleluja wurde ersetzt durch bäuerliches Tuscheln über den, der das Heiligtum Bernfeldes betreten hatte. Er war von nicht großem Wuchs und dürr wie der zitternde Stamm einer Sumpfbirke. Sein langer, weißer Umhang zog sich über den Boden und warf schmelzenden Schnee auf ihn. Seine Kleidung war von Kopf bis Fuß von einem Schwarz, das man meinen konnte, sie wäre aus dem Saum der Nacht persönlich geschneidert worden. Die Hände des Mannes waren so blass, dass man die blauen Adern sehen konnte und seine Finger von leichengrauer Hautfarbe. Sein Gesicht war bleich wie das eines Toten und die Haut zog sich aschfahl über die markanten Wangenknochen der eingefallenen Züge. Der Wind, der mit ihm eingekehrt war, fegte durch den schwarzen Zopf, doch viele der dunklen Haarsträhnen, welche in dem Kerzenlicht des Friedens in unheimlichem Violett schimmerten, hingen ihm über die Augen. Und sie waren es, welche die Menge so voller Furcht tuscheln und den Pfarrer haben verstummen lassen. War das rechte doch so aschfahl wie seine gesamte Erscheinung, glühte sein linkes Auge in grellem Grün, als wolle es jeden einzelnen erdolchen. Doch hing sein Blick nur an dem Gottesdiener vor dem Altar und ihm folgten seine Schritte nach. Laut krachend fiel die Tür der Kirche hinter dem Mann ins Schloss und ließ die Menge zusammen zucken. Der Gemeindepfarrer hielt voller Stolz und fragendem Blick sein Gesangsbuch vor die Brust. Es war, als flüstere der Azrael persönlich in sein Ohr. Ein Schrei ließ jede Wärme in der Kirche sterben, als der Fremde einen gebogenen Dolch zog, einen Opferkris und ihn durch das liebliche Gesangsbuch direkt in die Brust des Priesters stieß. Mit einer unbarmherzigen Wucht ließ er seinen Arm in Papier und Fleisch versinken, mit dem röchelnden Mann schritt er nach vorne an den Altar und stieß ihn gegen das einfache Gestein. Der Wahnsinn erfasste die Meute. Kinder fielen weinend zu Boden, schlugen sich die Köpfe auf. Alte Frauen wurden niedergetrampelt, ein junger Mann mit der Kehle an die Wand des Gotteshauses gedrückt. Die Panik ergriff das Menschengeschlecht, doch der Teufel am Altar gab nur ein angewidertes Geräusch von sich, als er seinen Arm aus dem warmen Blut zog und ihn am erzengelweißen Altartuch säuberte. Er drehte den Kopf ruckartig, als der erste Ergriffene in heillosem Chaos der wogenden Masse nach der Tür fasste. Nur ein Stück Holz stand zwischen ihm und der Freiheit. Nur ein Stück Holz stand zwischen ihm und dem Gottmord. Nur ein Stück Holz stand zwischen ihm und der Blasphemie. Doch seine Gedanken erstarben urplötzlich, als sich kalter Stahl durch seinen Hinterkopf bohrte, sein Gehirn durchschnitt und seinen Kopf an der Tür festnagelte. Der Mann am Altar hatte den Dolch geworfen und nun stand er wie der Tod auf dem mit Opferblut besudeltem Heiligtum. Hielt die Bibel in der Hand. Sie brannte.
Die dunklen Geschichten der Hexenverbrennung werden in jeder Schule gelehrt. Die finsteren Foltermethoden der Inquisition und die Grausamkeit des langsamen Sterbens abertausender Frauen, Kräuterweiber und ebenso ihrer Männer. Wie eine Gehirnpest hatte der Wahnsinn das Mittelalter ergriffen. Doch kein Buch berichtet über die Niederlagen der Kirche. Kein Kapitel erzählt von den wahren Hexen. Keine Legende weiß um Treah Nurb. Nun – zum mindest keine offizielle und nie würden es die heutigen Kirchenväter zu lassen, dass ein Wesen der Dämonen allein mit seinem Namen eine Erinnerung gewinnt. Diese Vertuschung galt nicht zwingend dazu, um die Niederlagen der Kirche zu verheimlichen. In einer Zeit der Sekten und in der Satanismus und Okkultismus zu abartiger Moderne gewannen, würden wahre Berichte über die schwarzen Seite der Magie Pseudoböse und Trendteufelsanbeter genauso wie Fliegen anziehen, wie wirklich okkulte Wahnsinnige und irre Sektenanführer und –gründer. Doch Jan war Journalist. Und die Primäraufgabe eines solchen wird auf immer das Aufdecken von Unaufgedecktem bleiben. Seine Anhaltspunkte waren freilich winzig und sehr wenige. Ein Albtraum, den er mit 10 Jahren und nun noch einmal im Erwachsenenalter geträumt hatte. Eine Aussage, „mein Herz brennt“. Und ein Name. Treah Nurb. Die psychologische Allgemeinheit weiß heut zu Tage, dass in Träumen Erlebtes vom Gehirn verarbeitet wird. Dieses mischt sich mit ungeklärten Fragen, möglichen Stressproblemen sowie Erinnerungen. Es sei auch durchaus normal, dass man oft ein und den selben Traum hat, besonders auch bei Albträumen. Psychologisch gesehen symbolisieren sie meist verborgene Ängste, Panik oder Missstände der Kindheit. So genannte Visionen können mit dem einfachen Begriff sich selbst erfüllende Prophezeiung erklärt werden. Wenn man weiß, dass etwas passiert, wird man unterbewusst auch alles daran setzen, dass es passiert. Oder einfach hineininterpretieren. Doch war dieser Albtraum vom brennenden Herzen nicht dieser Art gewesen. Es war, als wäre Jan beide Male unmittelbar im Geschehen gewesen. Selbst als er aufgewacht war glaubte er noch, Schatten zu erblicken, viel zu dunkle Schatten, welche sich eiligst bemühten, unter dem Bett oder in einem Schlitz zu verschwinden. Beim ersten Mal war zudem die fest verschlossene Schranktür weit geöffnet gewesen und nun, nach 15 Jahren, sein Fenster, welches selbst in einem Sturm eher zersplittern als sich eigenständig öffnen würde. Entweder, schloss Jan, war er paranoid. Aber nur, weil man nicht glaubt, paranoid zu sein, heißt das nicht, dass man nicht auch verfolgt wird. Gefrühstückt hatte Jan nicht mehr, sah man einmal von der Tasse starkem, pechschwarzem Kaffee ab. Seine Gedanken kreisten zu extrem um den Fakt der Dunkelheit seines Albtraums. So sehr, dass sein Magen es nicht einmal wagte, Hunger zu melden. Er zog sich zwei Pullover über den Kopf und griff nach seiner Umhängetasche. Eilig und mit tief gedankenverlorenem Blick stopfte er rasch Digitalkamera, Notizblock, Bleistift, zwei unbeschriebene CD’s und die Autoschlüssel hinein und hatte noch nicht einmal richtig die Schuhe angezogen, doch die Tür schon aufgerissen. Noch nie war er so hektisch die Treppe im Hausflur seines Wohnblockes herunter gerannt. Hatte die Tür seines TÜV-fälligen Autos aufgerissen. Erst, als er hinter dem Steuer saß und schon den Motor laufen ließ, hielt er inne. Jan horchte in sich. Seine Finger umschlossen das Lenkrad fester, ohne dass er es mitbekam. Ruhe. Und Konzentration. Überstürzt wie ein Held im Kriminalroman war er aufgebrochen. Ohne genau zu wissen, wohin er fahren sollte. Wo er suchen sollte. Treah Nurb, brennendes Herz, die Bilder in seinem Kopf. Und Schatten. Aber nichts von alledem würde ihm verraten können, was, wen und wo er seine Suche des Wahnsinns beginnen sollte. Jan lehnte sich zurück und kaute einige Momente der Unschlüssigkeit auf seiner Unterlippe herum. Dann drehte er den Zündschlüssel endgültig um und fuhr mit quietschenden Reifen aus der Parklücke. Jan hielt in einer Straße der neureichen Villenbesitzer außerhalb der Stadt. Alle hier wohnenden Menschen schienen den Tag verpasst zu haben, an dem Gott den guten Geschmack vergeben hatte. Die Vorgärten waren gespickt mit Plastikflamingos. Gartenzwergen und Tonrehen. Vogelbecken aus Keramik. Englischem Rasen darunter. Die Villen selber trugen die unsichtbare doch für jeden Betrachter lesbare Aufschrift, dass ihr Besitzer zu viel Geld besaß. Jans Blick wanderte an eben einem solchem architektonischen Missgriff entlang. Ein unter Glas behütetes Schild am eisernen Gartentor verriet, dass es dem Diplom Psychologen Doktor Professor Siegmund van Derwehr gehörte. Jan fand es übertrieben, seinen Vornamen als Psychotherapeut in ein Schild zu gravieren, wenn man Siegmund hieß. Die Eisentür stand offen und auch wenn Jan keinen Termin hatte, so war er sich sicher, dass sein Presseausweis genügen würde, den Herrn Doktor für einen solchen zu überreden. Das Wartezimmer war überraschend einladend. Keines, wie man es vielleicht von einem Zahnarzt gewohnt war, welches augenblicklich dazu animierte, es zu verlassen. Doch hier waren die Wände nicht kalkweiß oder geheuchelt sonnig gelb. Von einem warmen Türkiston und Bilder von Gabriele Münter sowie Frank Mark hingen an der Wand. Jan betrat wie ein unerwünschter Gast den behaglichen Raum. Es gab keine Sekretärin. Eher schien es, als stünde Jan schon im Wohnzimmer des Hausbesitzers. Doch war sein Kommen nicht unbemerkt geblieben. Ihm gegenüber öffnete sich eine helle Holztür und ein kleiner Mann mit Halbglatze, Nickelbrille und grauem Wollpullover trat ihm entgegen. Er hatte diese Art von freundlichem Psychologen-Lächeln. Jan war sich sofort sicher, van Derwehr gegenüber zu stehen. Da er noch am Eingang stand wie verirrt, lächelte Jan unbeholfen zurück. „Sind sie wegen einem Termin da? Ich habe bis nächsten Monat nichts mehr frei. Sie müssen sich gedulden.“ Jan nickte, lugte aber hinter den Rücken des Mannes zur Tür. Sah nicht aus, als säße dort jemand. „Mister?“, fragte van Derwehr und Jan sah rasch zu ihm zurück. Fand nun auch wieder Worte. „Nein, ich bin nicht wegen einem Termin da… das heißt, doch, in gewisser Weise schon.“ Er griff in seine Hosentasche und zog den geknickten Presseausweis hervor. Van Derwehr schob die Brille nach unten und blickte diesen voller Interesse eines Psychotherapeuten, welcher nach Popularität gierte, an. „Oh! Sind sie gekommen, um einen Artikel über meine Arbeit zu verfassen?“ War wohl doch ein Termin frei. Laut Stimmlage zu mindest. „Jain.“, haderte Jan nur wieder. „Aber wenn sie mir helfen, Herr van Derwehr, ein Rätsel zu lösen, dann taucht ihr Name sicher groß in einem Artikel in der Zeitung auf.“ Siegmund lächelte jetzt schmierig und sah von dem Presseausweis zu dem viel größeren Gast auf. „Kommen sie ruhig rein, Herr…“ „Hagen. Jan Hagen.“ Hatte das Wartezimmer noch wie eine Wohnstube gewirkt, so entsprach der Therapieraum ganz einem Klischee. Es gab auch tatsächlich das rote Sofa. Und auf diesem saß Jan nun, neben ihm van Derwehr mit einem Notizblock. Es war ja keine Sitzung. Doch beschlich ihn der Verdacht, dass es eine werden würde, allein wie der Psychotherapeut auf seinem Bleistift herum kaute und die Stichpunkte anstarrte. „Der Albtraum war also derselbe, wie vor genau 15 Jahren.“ „Jep.“ „Da erinnern sie sich ganz genau?“ „Hunderpro auf den Tag vor 15 Jahren.“ „Nun, die wenigsten Menschen wissen um die Symbolik der Zahl 15. Den Aberglauben führen schließlich die Sieben oder die 13 an. Dabei hat die 15 eine gewaltige Kraft. Nimmt man sie als Zehn und Fünf, so vereint sie geistige Vollkommenheit und Rückkehr zur Einheit mit der Zahl des Menschen. Selbst als Eins und Fünf hat sie enorme Kraft. Dann verbindet sie Einheit, Glück und Erleuchtung mit dem Körper des Menschen, seiner animalischen Seele und der Psyche, seinem Intellekt und ebenso dem göttlichen Geist.“ Van Derwehr pausierte nachdenklich. Harmonie, Vollkommenheit, Glück – das klang nach nichts Schlechtem. „Aber die Fünf ist auch die Zahl des Illuminatenordens, da sie aus der Quersumme der 23 rührt.“, erklärte der Psychologe weiter und blickte auf. Jan zog die Augenbrauen hoch. „Dass mein Traum irgendetwas mit Illuminati zu tun hat, daran zweifle ich.“, erklärte er. Für ihn wirkte es sehr weit aus der Luft gegriffen, bei einer Zahl anzufangen. Ihm eine Sakrilegverschwörung vor zu interpretieren. „Ich glaube, es ist vollkommener Zufall.“ Jan beschlich das Gefühl, dass dieser Siegmund ihm kaum so gut weiterhelfen würde, wie der echte Freud. „Aber woher kommt dieser Ausspruch. Dieses… ‚mein Herz brennt’. Ich meine… ist es nicht seltsam, dass ich genau denselben Traum hatte, wie als 10 jähriger Junge, jedoch dieser… Mann, dieses Wesen statt Treah Nurb mir diesmal die Entschlüsselung seines Namens verriet?“ Jan sah van Derwehr groß an, der wohl etwas deprimiert schien, mit seiner Zahlensymbolik bei dem Journalisten keinen Fuß fassen zu können. „Tja Treah Nurb, Treah Nurb…“ Der Psychotherapeut nahm die Brille von der Nase, legte sie auf seinen Schoß und den Notizblock bei Seite. Er blickte seinen Gast wie ein tadelnder Vater an, verschränkte die Hände vor der Brust und seufzte. Sein grauer Wollpullover war verdammt hässlich. „Wissen sie Mister Hagen…“, begann er dann und Jan war klar, dass er jetzt auch schon gehen konnte und alles gesagt war, was es zu sagen gab, „… sie sind weder paranoid, noch haben sie prophetische Träume. Es ist mehr aus nur natürlich und gesund, dass sich Träume wiederholen, Albträume aus der Kindheit ganz besonders. Wahrscheinlich stehen sie nur unter Stress oder alte Kindesängste kommen wieder zu Tage. Gehen sie nach Hause und denken sie nicht darüber nach.“ Van Derwehr lächelte und deutete mit einem Gesichtsausdruck, der so hässlich wie sein Pullover war, an, dass Jan jetzt gehen konnte. Dieser erhob sich und mühte sich nicht einmal, dem Doktor der Psychologie die Hand zu geben. „Nur weil ich nicht paranoid bin, heißt das nicht, dass ich nicht verfolgt werde.“, sagte Jan eine Spur zu eisig und verließ das Sprechzimmer sowie die protzige Villa des Siegmund van Derwehr. Als Jan wieder in seinem Auto saß, war er von innerer Wut und Enttäuschung über diesen Fehlschlag besessen. Mehr auf sich selbst bezogen. Er hatte gehofft, er würde sich clever anstellen. Stück für Stück jenes Puzzles finden. Eben wie ein Held in einem Roman.
Kommentar schreiben